Edith Stein in Wien

Bezüge zu Edith Stein in Wien

Edith Stein verbrachte Pfingsten 1931 in Wien und in St. Gabriel, Wien-Mödling. Der Anlass war ihr Elisabeth-Vortrag zum 700. Todestag der Heiligen, den sie am Samstag, den 30.5.1931, im Sitzungssaal des Wiener Landhauses hielt. Sie wohnte bei der Familie von Prof. Rudolf Allers, Philosoph und Psychiater, in der Dittesgasse 32.

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Am 14.6. schrieb Edith Stein aus Breslau an Roman Ingarden, sie sei 2 Wochen in Wien gewesen, wo sie auch seinen Brief erhalten habe. (ESAG 4, Br. 150)

Anlass für ihren Wien-Aufenthalt war die Einladung der österreichischen Reichsfrauen-Organisation zur Feier zum 700. Todestag der hl. Elisabeth v. Thüringen, die unter Führung ihrer Präsidentin Fürstin Fanny Starhemberg vom 26.–31.5.1931 stattfand. Es waren dort Vertreterinnen der Frauenverbände aus Österreich und dem umliegenden Ausland versammelt, auch führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Aristokratie, prominente Geistliche, Künstler und Wissenschaftler. Über die Tagung wurde in der Presse mehrere Tage hindurch spaltenlang berichtet. Edith Stein hielt dort ihren Vortrag „Natur und Übernatur in der Formung einer Heiligengestalt“ (ESGA 19, 15-29).

Während der Pfingstwoche 1931 wohnte Edith Stein ab Pfingstmontag, 25.5.1931 bei der Familie von Prof. Rudolf Allers in der Dittesgasse 32, Wien. Rudolf Allers (1883-1963), Philosoph und Psychiater, emigrierte 1938 in die USA, war dort Professor für Psychologie und Philosophie in Washington DC an der Catholic University of America. Sein Werk Das Werden der sittlichen Person erschien 1929 in Freiburg/Br. (ESGA 2, Br. 159 Anm. 3).

Um das Hochfest Pfingsten in Ruhe feiern zu können, war Edith Stein zu Gast im Missionshaus St. Gabriel in Mödling bei Wien. Dort unterhalten die Steyler Patres (Gesellschaft des Göttlichen Wortes) noch heute ein großes Studienzentrum. Edith Stein nahm an den Gottesdiensten in der Klosterkirche und an den Mahlzeiten des Gästehauses teil, musste jedoch wegen des Andrangs von Besuchern im nahegelegenen Schwesternheim in der Weyprecht-Gasse nächtigen. Dieses Haus bewohnten „Barmherzige Schwestern vom Hl. Kreuz“ (Mutterhaus Laxenburg bei Wien), die in der Umgebung in der Hauskrankenpflege eingesetzt waren.

„Ich habe mich auch für die Pfingsttage [24./25.5.1931] in die Einsamkeit geflüchtet. Wie Du siehst, in fremdem Lande. Am 30. muß ich in Wien eine Rede zu Ehren der hl. Elisabeth halten (gelt, da hilfst Du mir mit einem Memento!). Ich bin früher gefahren, weil es zu Hause an Festen besonders schwer für mich ist (Du weißt ja sicher, daß meine Angehörigen nicht unsern Glauben haben).“ (ESAG 2, Br. 156, Mödling b. Wien, 23.5.1931 Pfingstvigil)

„Montag [25.5.] fahre ich nach Wien zurück, dann werde ich mit sehr viel Menschen zusammen sein müssen.“ (ESAG 2, Br. 156, Mödling b. Wien, 23.5.1931 Pfingstvigil).

Die Tagung begann am Abend des 26.5. im Festsaal des Hotels „Österreichischer Hof“ (Fleischmarkt 10). Ob Edith Stein anwesend war, ist nicht mehr festzustellen. Sie lernte wohl am Rande der Tagung Hildegard Burjan (1883-1933) kennen, die Gründerin der Schwesternschaft Caritas Socialis, zu der auch Marie Buczkowska (s. u.) gehörte. Burjan stammte aus Görlitz / Niederschlesien, war Sozialpolitikerin in Österreich und wurde 2012 für ihr soziales Engagement seliggesprochen.

Ab Mittwoch, 27.5. begannen die Arbeitssitzungen. Zuvor wurde eine Messe zum Hl. Geist in der St. Elisabethkirche des Deutschen Ordens in der Singerstraße gefeiert, Kardinal Erzbischof Dr. Friedrich Gustav Piffl zelebrierte.

Die Referate fanden in der Volkslesehalle in der Renngasse 12 statt. Abt Dr. Hermann Peichl OSB (Schottenstift) begann mit seinem Referat „Katholische Ehe und modernes Menschentum“ und stellte die Schönheit und Würde der sakramentalen Ehe heraus.

Oda Schneider sprach über die „Berufung der Frau zum Dienst am Menschen“. Frau Bundesrat Dr. Berta Pichl referierte über „volksmütterliche Aufgaben der katholischen Frau in der Fürsorge“.

Der Donnerstag war den Frauen in der Landwirtschaft gewidmet. Am Nachmittag konnte Edith Stein zum Thema „Berufstätige Frau im kaufmännischen Betrieb, in Handeln und Gewerbe“ eigene Erfahrungen zu den Beratungen beitragen.[1]

Am Donnerstagabend wurde eine große Festveranstaltung mit bis zu 3000 katholischen Frauen im Festsaal der Neuen Hofburg geboten. Das Hauptreferat hielt Helene Weber aus Berlin: „Die Landgräfin Elisabeth als Heilige der Caritas und der Familie“. Und danach folgte die Uraufführung des Festspiels „Die hl. Elisabeth – die moderne Heilige“ von Franz August Lux.

Am Freitag ging es um „Probleme der Arbeiterin und ihre Gewinnung für die katholische Weltauffassung“, die von Prälat Hausleitner, dem Generalsekretär der katholischen Arbeiterbünde, untersucht wurden. Am Nachmittag sprach eine junge Doktorandin, cand. phil. Ditta Danielski, über das „Frauenstudium“. Fragen der Akademikerinnen wurden von der Studienrätin Dr. Anna Nowak vorgetragen.

An der Diskussion beteiligte sich auch Gerta Krabbel, Vorsitzende des Kath. Dt. Frauenbundes, die Diskussionsleitung hatte Lola Gräfin Marschall. An einem der Tage lud sie Edith Stein, Oda Schneider und Erich Przywara zu sich ein, um das Gehörte noch weiter zu besprechen.[2]

Die Schriftstellerin und spätere Karmelitin Oda Schneider (1892-1987) erinnert sich an dieses Zusammentreffen mit Edith Stein in Wien. Oda Schneider war von 1917-1947 mit Major Rudolf Schneider verheiratet, studierte an der Universität Wien „Laienkatechese“ und wirkte im Rahmen der „Katholischen Aktion“ und der „Schönstattbewegung“. Nach dem Tod ihres Mannes trat sie in das Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen in Wien-Baumgarten ein (Ordensname Maria Cordis), legte 1952 ihre ewige Profess ab. 1969 wechselte sie in das Kloster in Graz.

Am Samstag ging es um „Die Frau als Politikerin“ und „Das Wirken der Katholischen Mandatsträgerin für die Frauenbewegung“. Endlich dann, am Abend um 19.30h, folgte Edith Steins eigener Vortrag, im großen Sitzungssaal des niederösterreichischen Landtages in der Herrengasse 13: „Elisabeth v. Thüringen – Natur und Übernatur in der Formung einer Heiligengestalt“. (ESGA 19, 15-29)

Die Reichspost schrieb: „Für ihr in gedankentiefen und formvollendeten Worten vorgetragenes Referat“ habe sie „ein gespannt lauschendes Publikum“ gefunden. Man erinnerte ihren Salzburger Vortrag und diesem hatte sie die Einladung nach Wien wohl zu verdanken.[3]

Hinderlich für die Zuhörer war sicher – so fügt Amata Neyer in ihrer Dokumentation an – ein spontan ins Programm aufgenommener Empfang des Bundespräsidenten Miklas und Gemahlin in den Festräumen des Ballhausplatzes. Amata Neyer: „Wenn man dann auch noch bedenkt, wieviel Kluges über Elisabeth von Thüringen im Verlauf der Tagung schon gesagt worden war und daß obendrein und ganz ungewohnt eine brütende Hitze von bis zu 40 Grad über Wien lag, so wird klar, daß Edith Stein sich in keiner beneidenswerten Lage befand; aber sie wurde mit ihr erfolgreich fertig.“[4]

Am Sonntag 31.5. hielt Bischof Dr. Sigismund Waitz (Feldkirch, Vorarlberg) um 10.15h in der Schottenkirche die Predigt, im Anschluss hielt P. Prior Wolfgang OSB das Konvent-Amt.[5] Bischof Waitz teilte Edith Stein übrigens im Anschluss an die Tagung das Echo auf ihren Elisabeth-Vortrag in Wien am 27.6.1931 mit:

Das Neue Reich[6] hat Ihre Wiener Rede bereits veröffentlicht. – Das wird weitere Kreise auf Ihre Arbeiten aufmerksam machen. – Ich wünsche weitere Erfolge auf diesen Gebieten.“ (ESGA 2, Br. 162 von Sigmund Waitz an Edith Stein)

Nicht nur durch ihren Vortrag war Edith Stein mit Wien verbunden, sondern auch durch ihren „Meister“, dem Philosophen Edmund Husserl. Er wurde in Wien, seinem Studienort, in der Evangelischen Stadtkirche am 16.4.1886 getauft und hatte dort am 6.8.1887 geheiratet. Edith Stein schrieb über ihn:

„Die Sprache verriet sofort den geborenen Österreicher: Er stammte aus Mähren und hatte in Wien studiert. Auch seine heitere Liebenswürdigkeit hatte etwas vom alten Wien.“ (ESGA 1, 200)

Seine Frau Malvine Husserl wurde kurz vor ihrer Hochzeit am 8.7.1887 ebenfalls in der evangelischen Stadtkirche Wien getauft. Später wurde sie am 22.3.1942 in Herent / Belgien von P. Herman Leo van Breda durch die Taufe (sub conditione) in die katholische Kirche aufgenommen.

Eine weitere Bekannte Edith Steins stammte aus Wien, bzw. aus Wien-Mödling: Marie Buczkowska (1884-1968), die Edith Stein wohl am 8./9. November 1930 in Benndorf kennen lernte, anlässlich ihres Vortrags über die „Grundlagen der Frauenbildung“[7]. Buczkowska gründete den „Jugendbund“ innerhalb des Katholischen Deutschen Frauenbunds und war bis 1933 und nach 1948 Mitglied des Rundfunkrates des Bayerischen Funkhauses. Auf ihre Bitten hin schrieb Edith Stein im Februar 1932 den Text „Wege zur inneren Stille“ (ESGA 13, 43f.) für den Monatsbrief der „Societas Religiosa“, dessen Leiterin Buczkowska war. (ESGA 3, Br. 303)

Vom Karmel Köln aus hatte Edith Stein später nochmals eine Verbindung nach Wien über den Verlag Jakob Hegner, dem sie ihr Hauptwerk Endliches und ewiges Sein (ESGA 11/12, 1935-1937) schickte:

„[Anton] Pustet [Verlag, Salzburg] ist jetzt nicht in der Lage zu drucken. Jakob Hegner in Wien ist nicht abgeneigt, es zu nehmen. Ich habe um Rücksendung des Ms. [Endliches und ewiges Sein, ESGA 11/12] von Salzburg gebeten.“ (ESGA 3, Br. 529, 9.11.1937)

Doch auch das war nicht mehr möglich; erst 1950 kann das Werk im Verlag Herder (Freiburg) erscheinen.

Amata Neyer (1923-2019), ergänzt von Beate Beckmann-Zöller (2020)

[1] Neyer, Amata, „Edith Stein und Elisabeth von Thüringen“, ESJ 1999, 339-355, 344.
[2] Neyer, 346.
[3] Neyer, 346.
[4] Ebd.
[5] Neyer, Amata, „Edith Stein und Elisabeth von Thüringen“, ESJ 1999, 339-355, über Wien: 342-346. 350.
[6] Wochenzeitschrift für Kultur, Politik und Volkswirtschaft, hg. v. A. Schöpfer und J. Messner (Wien, Innsbruck, München) 13. Jg. Nr. 37 vom 13.6.1931 und Nr. 38 vom 20.6.1931.
[7] Stimmen der Zeit, 1931, Heft 6, S. 413–424; ESGA 13, 30–43.