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Bezeichnet und gestärkt, weil der Herr uns braucht
Gedanken zur Firmung Edith Steins am 2. Februar 1922 in Speyer[1]
[1] Überarbeitete Fassung meines Beitrags „Er hat uns zu Gliedern seines Leibes gemacht“, in: Der Pilger 5 (1998) 23, bzw. der Abschnitte „Eingliederung in den Leib des Herrn“, in: Feldes, Joachim/Willy, Patrik, An der Hand des Herrn. Liturgische Bausteine zu Edith Stein, 2005, 21-26, und „Die Firmung am 2. Februar 1922“, in: Feldes Joachim: „Oh, diese Philosophin!“ – Joseph Schwind als geistlicher Begleiter Edith Steins, in: Edith Stein Jahrbuch 13 (2007) 56f.
Die Firmung am Fest der Darstellung des Herrn
Gut fünf Wochen nach ihrer Taufe am Neujahrstag 1922 durch Dekan Eugen Breitling (1851–1931) in Bergzabern empfängt Edith Stein am 2. Februar in Speyer das Sakrament der Firmung. Für beide Sakramente werden damit Feiertage ausgewählt, die auf jüdische Rituale zurückgehen. Denn wie der Neujahrstag als Oktavtag von Weihnachten auf die Beschneidung des Erstgeborenen acht Tage nach der Entbindung abhebt – nach dem Missale Romanum von 1570 wurde der 1. Januar als Fest der Beschneidung des Herrn gefeiert[1] –, geht das Fest der Darstellung des Herrn am 2. Februar auf die im Alten Testament vorgeschriebene rituelle Reinigung der Mutter zurück. Gemäß Lev 12 galt eine Frau nach der Geburt eines Knaben vierzig, der eines Mädchens sogar achtzig Tage als kultisch unrein und musste danach ein Sündopfer darbringen, was die Eltern Jesu auch tun (Lk 2,22-39). Gerade für den Erstgeborenen betont die Schrift die Notwendigkeit des Opfers, weil der Junge als Eigentum Gottes galt und deshalb durch das Opfer ausgelöst werden musste (Ex 13,1-16; Num 18,15). Durch die besondere Terminierung der beiden Sakramente empfängt also die gebürtige Jüdin Edith Stein Taufe und Firmung auf dem Hintergrund der Religion ihrer Eltern und Vorfahren. Wer diese Entscheidungen letztlich traf, bleibt offen, aber sie wurden beide im Einvernehmen mit Bischof Dr. Ludwig Sebastian (1862–1943) gefällt.
Was Breitling betrifft, genoss er nicht nur beim Bischof Ansehen, der seiner ungewöhnlichen Bitte entsprach, Hedwig Conrad-Martius, die einer evangelischen Freikirche angehörte, als Taufpatin zuzulassen, sondern in Bergzabern auch bei der protestantischen und der jüdischen Gemeinde. In ihrem Bericht über die Beisetzung Breitlings im Dezember 1931 bemerkt Der christliche Pilger, die Bistumszeitung der Diözese Speyer, ausdrücklich: „Der endlos lange Trauerzug umfaßte Angehörige aller Schichten und beider Konfessionen. Am Grabe gaben Nachrufe (…) der protestantischen und israelitischen Kultusgemeinde (…) noch einmal Zeugnis für die Verdienste des Verstorbenen und die Dankbarkeit, die über das Grab hinaus ihm sicher bleibt“.[2] Dies legt die Vermutung nahe, dass Breitling nicht nur gegenüber dem Protestantismus eine für die damalige Zeit ungewöhnlich offene Einstellung hatte[3], sondern auch dem Judentum großherzig gegenüberstand und die Terminierung der Taufe auf ihn zurückging.[4]
Nachdem Bischof Sebastian bereits in die Taufe involviert war, indem er die von Breitling für Conrad-Martius erbetene Dispens erteilt, nimmt er die Firmung selber und zwar in seiner Hauskapelle vor. Warum auch immer, nennt das von Karl Hofen (1932 – 1939 Dompfarrer) unterschriebene Firmzeugnis, das am 5. Mai 1933 Edith Stein für ihren Eintritt in den Karmel Köln ausgestellt wird, fälschlicherweise den Speyerer Dom als Ort ihrer Firmung („in Ecclesia Cathedrali et Parochiali Spirensi“).[5] Dr. Friedrich Wetter, selber Bischof von Speyer zwischen 1968 und 1982, beschreibt in einem Vortrag vom 7. Februar 1984 – inzwischen ist er Erzbischof von München und Freising – Edith Steins Gefühl nach der Firmung als „überglücklich, Gott gefunden zu haben und ein Kind der Mutter Kirche zu sein“.[6] Wie weit sich Wetter freilich auf schriftliche Quellen oder mündliche Berichte stützt, muss offen bleiben, zumal Sr. Maria Amata Neyer OCD am 15. Januar 1998 feststellen muss, sie habe eine Äußerung von Stein zu ihrer eigenen Firmung nirgendwo gefunden.[7] Dieser Befund galt bis in die allerjüngste Zeit, als Sr. Lucia Wagner OSB im Archiv der Benediktinerinnenabtei Venio in München auf einen Brief Edith Steins vom 2. Februar 1936 an Ilse Lohr stieß.[8] Darin schreibt sie: „Gestern und die Nacht hindurch hatten wir das Ewige Gebet in unserer Kapelle. Und heute ist Lichtmeß – mein schöner Firmtag. Möge aus diesen beiden Gnadenquellen viel in diese Zeilen einströmen und Ihnen helfen zu einem gesegneten pergere itinera Eius.“[9]
Die Firmpatin Ernestina Mühe
Bis Mitte der neunziger Jahre rankte sich eine Reihe von Fragen um Edith Steins Firmpatin, Fräulein Ernestina Elisabeth Mühe. Erst die nähere Beschäftigung mit Konrad Schwind (1898–1976), Neffe von Edith Steins Seelenführer Joseph Schwind (1851–1927), im Zuge von Untersuchungen zu Edith Steins Beziehung zu Schifferstadt erbrachte hier Antworten auf die Fragen nach der Person von Mühe und wie sie möglicherweise zu dem besonderen Amt kam. Insbesondere zwei Briefe vom 20. Dezember 1948 und 17. September 1957[10] an den Karmel in Köln – Schwind ist damals Pfarrer und Dekan in Frankenthal-Mörsch – helfen hier weiter. Darin berichtet Schwind, dass Fräulein Mühe Klavierlehrerin war, aus Speyer stammte und, wie er 1957 betont, „aus achtbarer Lehrersfamlie“.[11] Die Angaben in Schwinds Briefen konnten dank Nachforschungen von Sr. Marie-Thérèse Konieczna OP einige Monate vor Edith Steins Heiligsprechung 1998 um weitere Facetten ergänzt werden. Danach wurde Edith Steins Firmpatin am 13. Januar 1855 in Speyer als Kind des Schulgehilfen Karl Ludwig Mühe und seiner Frau Elisabetha, einer geborenen Weisbrod, geboren. Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts lebt Ernestina Mühe in der Speyerer Herdstraße, im vierten Stock des späteren Katholischen Vereinshauses, das heute Hausnummer 5 trägt. Im Gespräch mit Sr. Marie-Thérèse beschreibt ihre 1910 in Speyer geborene Mitschwester Josepha Schuck Mühe als vornehme, feine Dame, die sie im Alter von ungefähr zwölf Jahren kennengelernt habe. Ihr Vater, Franz Josef Schuck, hatte nämlich eine Werkstatt für Kunst- und Buntglas, die gegenüber dem Haus lag, wo Mühe wohnte. Josepha erinnert sich, dass die ältere Dame „gestützt auf einen Stock“ jeden Morgen die heilige Messe im Dom besucht habe, weswegen man davon ausgehen könne, dass sie sowohl Domkapitular Schwind als auch Bischof Dr. Sebastian bekannt war.
Es könnte jedoch noch eine weitere Verbindung zu Schwind gegeben haben, die mit dessen Geburtsort Schifferstadt zusammenhinge. Denn Ernestina Mühe – sie starb am 2. September 1924 in Speyer – und ihr Bruder, der ebenfalls Lehrer war, hatten eine Angestellte, Barbara („Babette“) Sattel, die etwas jünger als die Klavierlehrerin war, und wie Schwind aus Schifferstadt stammte.[12] In seiner Wohnung unweit des Doms lebte Schwind mit zwei Töchtern seines Bruders Valentin, nämlich Anna (1892–1981) und Elisabeth („Lisette“, 1894–1966), sowie seiner Schwester Maria (1857–1933), die ungefähr im gleichen Alter wie Frau Sattel gewesen sein dürfte.[13] Ob sie eventuell Schulkameradinnen waren – im 19. Jahrhundert gab es in Schifferstadt nur ein Schulhaus – muss offen bleiben, aber eine nähere Bekanntschaft der beiden Frauen halte ich für durchaus wahrscheinlich.[14] Auf diesem Hintergrund hätte sich Joseph Schwind bei seinen Überlegungen hinsichtlich einer möglichen Firmpatin für Edith Stein eine gute Möglichkeit geboten, schnell und unkompliziert nähere Informationen über Mühe einzuholen, den Kontakt aufzunehmen und sie schließlich sowohl dem Bischof als auch Edith Stein vorzuschlagen.
Edith Stein über das Sakrament der Firmung
In ihren Schriften beschäftigt sich Edith Stein gern mit dem Heiligen Geist, den sie in der Kreuzeswissenschaft als die „lebendige Liebesflamme“ bezeichnet und den die Seele in sich fühle „als ein Feuer, das sie verzehrt und in wonnevoller Liebe umgestaltet“[15]. Er belebe die Seele „mit einer Art göttlichen Lebens“ und wirke in ihr „ein Entbrennen der Liebe, worin der Wille der Seele mit der göttlichen Flamme eine einzige Liebe geworden ist“[16]. Dagegen behandelt Edith Stein das Sakrament der Firmung nur an wenigen Stellen und schreibt in ihrem Aufsatz Das Gebet der Kirche aus dem Jahr 1936, dass das Blut Christi in der Firmung „den Streiter Christi zum freimütigen Bekenntnis“ bezeichne und stärke.[17] Wie die Taufe sei sie „angeordnet zur geistlichen Vollendung eines jeden Menschen in sich selbst“, denn während der Mensch in der Taufe geistlich wiedergeboren werde, erfahre er – formuliert Edith Stein 1933 in Was ist der Mensch? – durch die Firmung „Wachstum in der Gnade und Stärkung im Glauben“.[18]
Durch die Entscheidung zur Firmung entspreche der Mensch seiner Berufung, denn: „Die Kirche braucht uns, d. h. der Herr braucht uns. Nicht, als ob Er nicht ohne uns fertig werden könnte. Aber er hat uns die Gnade geschenkt, uns zu Gliedern seines mystischen Leibes zu machen, und will uns als seine lebendigen Glieder gebrauchen“.[19] Stein formuliert hier in der Mehrzahl, weil die Firmung wie auch Taufe und Eucharistie den Menschen nicht als isoliertes Individuum nähmen, sondern ihn als Glied in die Gemeinschaft der Kirche einfügten.[20] Mit der Firmung erhalte der Streiter Christi von den obersten Heerführern der streitenden Kirche sozusagen den Ritterschlag und werde von ihnen in die Pflicht genommen. So werde der Gefirmte in den hierarchisch gegliederten mystischen Leib Christi hineingegliedert, in dem „zwischen allen eine lebendige Verbindung besteht, und zwar nicht nur auf dem ‚gewöhnlichen Instanzwege‘, sondern auch unmittelbar von den einfachen Gläubigen bis zur höchsten Spitze.“[21] Das Sakrament, das der Einzelne empfängt, stelle ihn immer in eine ganz persönliche Beziehung, führe „zu einer seinmäßigen und persönlichen Verbindung mit Christus: von der Person Christus zur Person des Christen“ und verweise ihn immer auf etwas grösseres – in die Vergangenheit, auf den Kreuzestod Christi und in die Zukunft, auf das ewige Leben.[22]
Revd Dr. Joachim Feldes
International Association for the Study of the Philosophy of Edith Stein
www.edithsteincircle.org
Lancelot-Andrewes-Institut
Nürnberg
www.lancelotandrewes.org
Anglikanische Gemeinde Rhein-Neckar
Schauernheim
www.anglikanisch.org
[1] In der anglikanischen Kirche wird der Neujahrstag auch heute noch als Fest der Beschneidung Jesu gefeiert.
[2] Der christliche Pilger. Sonntagsblatt für das Bistum Speyer 84 (1931) 1241.
[3] Was seiner Haushälterin sehr missfiel. Vgl. Feldes, Joachim, „Dieser Schmerz kann ein heilsamer Schmerz sein“ (Edith Stein). Impulse für eine Ökumene, die weitergeht, hrsg. von der Edith-Stein-Gesellschaft Deutschland e.V., 2004, 6f.
[4] Trifft diese Vermutung zu, dann würde sich in der Terminierung der Taufe vielleicht sogar eine positive Haltung zu einer abrahamitischen Ökumene manifestieren. Entsprechendes träfe dann auch in Bezug auf die Firmung zu.
[5] Eine Abbildung des Dokuments findet sich in Neyer, Maria Amata, Edith Stein. Ihr Leben in Dokumenten und Bildern, Würzburg 19884, 37; der Text mit einigen Anmerkungen in Stein, Edith, Neuaufgefundene Texte und Übersetzungen VII = ESGA 28 (2020) 401f, vgl. CI.
[6] Wetter, Friedrich, Edith Stein – Zur Wahrheit berufen – vom Kreuz gesegnet. Vortrag im Dom zu Mainz am 7. Februar 1984, hrsg. vom Pressereferat der Erzdiözese München und Freising, 1984, 10.
[7] Brief vom 15.01.1998 an den Verfasser. Darin schreibt Neyer weiter: „Ich habe mich oft gewundert, daß unsere Heilige so wenig von der hl. Firmung spricht. Ich befürchte, die war damals nicht ‚in‘.“
[8] Ilse Lohr kannte Edith Stein von Besuchen im Karmel Köln und stand mit ihr unter anderem in Kontakt, weil sie wie Edith Stein in Freiburg i. Br. Philosophie studiert hatte. 1937/38 schloß sie sich als Sr. Renata der Gemeinschaft Venio an (https://www.edith-stein.eu/portfolio/edith-stein-in-muenchen, abgerufen 05.04.23). Nach Mitteilungen von Beate Beckmann-Zöller an den Verfasser am 09.03. und 04.04.23 wird Sr. Lucia den ganzen Brief im Edith-Stein-Jahrbuch 2024 veröffentlichen, ergänzt durch weitere Informationen zu Edith Steins Beziehung zur Abtei Venio sowie zu Ilse Lohr.
[9] Lat. „Seine (Christi) Wege weiter zu verfolgen“.
[10] Auf den Tag genau dreißig Jahre nach dem Tod seines Onkels Joseph.
[11] Eine handschriftliche Anmerkung am Rand des Briefes von 1948 – „Onkel hat sie gern bekannt gemacht auserlesenen Seelen“ – könnte eventuell darauf abheben, dass Joseph Schwind die Bekanntschaft zwischen Stein und Mühe hergestellt hatte.
[12] Mühe, die am 4. September 1924 auf dem Friedhof in Speyer beigesetzt wurde, blieb bis zu ihrem Lebensende ledig und kinderlos.
[13] Die Wohnung befand sich im Gebäude Domplatz 7, heute Edith-Stein-Platz 4. Vgl. Bumb, Bernhard/Feldes, Joachim, Auf den Spuren Edith Steins durch Speyer, 20203, 14f.
[14] Nach Angaben des Stadtarchivs Schifferstadt gab es mindestens acht Frauen namens Barbara Sattel, die im fraglichen Zeitraum in Schifferstadt geboren wurden. Leider fanden sich bislang keine Hinweise, ob sich darunter die Angestellte der Geschwister Mühe befindet.
[15] Stein, Edith, Kreuzeswissenschaft. Studie über Johannes vom Kreuz = ESGA 18 (2003) 157.
[16] Stein, Kreuzeswissenschaft 158.
[17] Stein, Edith, Geistliche Texte I = ESGA 19 (2009) 57.
[18] Stein, Edith, Was ist der Mensch? Theologische Anthropologie = ESGA 15 (2005) 104.
[19] Stein, Edith: Die Frau. Fragestellungen und Reflexionen = ESGA 13 (20022) 140.
[20] Stein, Was ist der Mensch? 138.
[21] Stein, Was ist der Mensch? 109.
[22] Stein, Edith, Miscellanea thomistica. Übersetzungen – Abbreviationen – Exzerpte aus Werken des Thomas von Aquin und der Forschungsliteratur = ESGA 27 (2013) 183.